Ankereffekt - Fehlurteile vermeiden

Kernthese: Überzogene Forderungen beinhalten die Gefahr, zu unangemessenen Zugeständnissen manipuliert zu werden.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat in seinem Weltbestseller "Schnelles Denken, langsames Denken" verschiedene Effekte erörtert, die unsere Urteils- und Entscheidungsfähigkeit negativ beeinflussen können.

Dazu gehört der sog. Ankereffekt.

Selbstreflektion zur Einstimmung ins Thema:

Die Klimaveränderung macht vielen Bürgern Sorge. Diskutiert wird u.a. die Höhe einer CO2-Steuer.
Wären Sie bereit, für einen Flug nach Mallorca mehr oder weniger als 50€ als
Ausgleichsabgabe zu bezahlen?
Wieviel wären Sie bereit aufzuwenden?
Was hätten Sie geantwortet, wenn ich Sie gefragt hätte, ob Sie bereit wären, mehr oder weniger als 15€ zu bezahlen? Wieviel genau? Wäre Ihr Angebot dann größer, kleiner oder gleich groß wie bei der ersten Frage ausgefallen?
Falls Ihre Zahlungsbereitschaft im 1. Fall größer war, hängt dies wahrscheinlich mit dem Ankereffekt zusammen.

Hintergrund:
Die Preise 15 bzw. 50€ stellen Anker da, an denen man sich bei der eigenen Zahlungsbereitschaft bewusst oder unbewusst mit orientiert. Die Zahlungsbereitschaft liegt näher bei der Zahl, die ursprünglich als Orientierung angeboten wird. Anker bieten eine erste Orientierung bei Bewertungen von Themen, die nicht eindeutig eingeschätzt werden können („welcher Ausgleichsbetrag ist angemessen?“). Sie treten auf, wenn Menschen Werte angeboten bekommen, bevor sie sich bewusst mit der Höhe eines angemessenen Wertes auseinandergesetzt haben.
Wenn ein Verhandlungspartner glaubwürdig ist, unterstellen wir, dass dieses Angebot aufgrund seriöser Berechnungen entstanden ist. Gleichzeitig werden spontan selektiv kompatible Informationen ins Gedächtnis gerufen, die das erste Angebot plausibel erscheinen lassen könnten (Priming-Effekt). Abweichungen vom Angebot zu begründen, fällt schwer, wenn Fakten fehlen. Deswegen fallen diese meist eher gering aus. Damit besteht die Gefahr, dass wir durch überzogene Forderungen zu unangemessenen Zugeständnissen manipuliert werden.

Beispiel: Im Rahmen der jährlichen Zielvereinbarungen mit Mitarbeitern werden von der Unternehmensleitung zu hohe Planziele vorgegeben mit der Absicht, dadurch höhere Zugeständnisse bei den Mitarbeitern zu erreichen als dies bei realistischen Vorgaben möglich wäre. Mitarbeiter bieten analog zu niedrige Ziele als erreichbar an, in der Absicht, dadurch geringere Vorgaben aushandeln zu können.

Ein weiteres Beispiel: Ein Unternehmen will aus konjunkturellen Gründen 500 Beschäftigte abbauen. Die Unternehmensleitung geht in Verhandlungen mit dem Betriebsrat mit der Vorgabe, sich von 800 Mitarbeitern trennen zu müssen. Am Ende einigt man sich auf den Abbau von 450 Mitarbeitern, was als Erfolg in der Öffentlichkeit dargestellt wird.

Wie relevant ist der Faktor für Sie? In welchen Situationen beeinflussen
Ankereffekte Sie negativ (z.B. beim Haus- oder Autokauf)?

Wie können Sie Fehlurteile aufgrund des Ankereffekts vermeiden?

  • Vermeiden Sie Ankereffekte, die zu unangemessenen Zugeständnissen führen.
  • Setzen Sie sich vor einer Verhandlung mit der Frage eines angemessenen Preises bewusst auseinander. Stellen Sie ggf. Wettbewerbsvergleiche an. Vergleichen Sie die Angebote verschiedener Hersteller. Gehen Sie in die Verhandlung mit einem Zielpreis bzw. Höchstpreis, den Sie maximal zu zahlen bereit sind. Sammeln Sie Fakten, die gegen höhere Preise sprechen.
  • Vereinbaren Sie zu Beginn einer Verhandlung mit der Gegenpartei, anhand welcher objektiven Kriterien bzw. Verfahren Sie einen fairen Preis ermitteln wollen (z.B. Mietspiegel für Wohnungsmiete). Sie versachlichen damit die Diskussion über den angemessenen Preis und verhindern einen Einstieg über überzogene Schätzwerte.
  • Lassen Sie Anker, z.B. Angebotspreise, durch die Gegenseite begründen. Hinterfragen Sie die Begründungen kritisch. Fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit auf Argumente, die gegen den Anker sprechen.
  • Setzen Sie ggf. Anker als erster. Starten Sie zunächst selbst mit überzeugenden Informationen zum eigenen Angebot. Befreien Sie sich damit vom Manipulationsverdacht.

© Prof.Dr.Merk

Quelle

Kontakt: merk@t-pu.de