Emotionalisierte Szenarien - Fehlurteile vermeiden

Kernthese: Hochemotionalisierende Schreckensszenarien, über die Medien berichten, erhöhen das Risiko sachlich nicht begründeter Überreaktionen.

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman hat in seinem Weltbestseller "Schnelles Denken, langsames Denken" verschiedene Effekte erörtert, die unsere Urteils- und Entscheidungsfähigkeit negativ beeinflussen können.

Dazu gehören sog. Emotionalisierte Szenarien.

Selbstreflektion zur Einstimmung ins Thema:

Wie wirken Bilder von ertrunkenen Flüchtlingen auf Sie in der Debatte um die Migrationspolitik?
• Wie wirken Berichte über Massaker auf Sie bei der Frage, ob ein Land anderen den Krieg erklären soll?
• Welche Szenarien werden in Verbindung mit dem „Klimanotstand“ diskutiert?

Hintergrund:
In emotionalen Kontexten werden intuitiv Entscheidungen provoziert, die auf Behebung der dargestellten Negativ-Szenarien drängen. Eine sachliche, begründete Diskussion der Vor- und Nachteile von Entscheidungen wird dadurch verhindert/ erschwert. Diejenigen, die kritisch nachfragen, geraten emotional ins Abseits.
Bei fortgeschrittener Eskalation nimmt die Bereitschaft ab, zweifelnde Argumente anzuhören.
Wir haben evolutionär gelernt, wenn Gefahren drohen (der berühmte Säbelzahntiger, der unseren Vorfahren plötzlich hinter dem Gebüsch erscheint), mit schnellen spontanen Entscheidungen (Kampf oder Flucht) zu reagieren.
Risiken entstehen dann, wenn Dramatisierungen bewusst als Ablenkungsmanöver eingesetzt werden, um manipulativ bei fehlenden Fakten eine sachliche Diskussion von umstrittenen Sachverhalten zu verhindern. Der spontane Impuls, z.B. in Seenot Geratenen zu helfen, soll aktiviert werden. Die Diskussion von Fakten wird unterbunden.
Bitte stellen Sie sich folgende Situation vor: sie sind Vater oder Mutter. Ihre 15-jährige Tochter hätte um 22.00h zuhause sein sollen. Es ist jetzt bereits 23.00h. Was geht Ihnen durch den Kopf?
Schreckensszenarien, obwohl die Wahrscheinlichkeit eines Unfalles eher gering ist?
Automatisch erinnern Sie sich an schreckliche Verbrechen, über die in den Medien berichtet wurde. Diese Assoziationen verschärfen Ihre Sorge.
Was verursacht mehr Todesfälle? Schlaganfälle oder Unfälle? Schlaganfälle verursachen fast doppelt so viele Todesfälle wie Unfälle. 80% der Befragten stuften Unfälle wahrscheinlicher ein. Die Fehleinschätzung wird dadurch beeinflusst, dass für Unfälle spontan vielfältige bedrohliche Beispiele in Erinnerung gerufen werden können, die fest in unserem Gedächtnis gespeichert sind.
Bedrohungen, die spontan gravierende anschauliche Beispiele in Erinnerung rufen, werden überbewertet, auch wenn deren Wahrscheinlichkeit relativ gering ist. So ist die Angst vor Terroristen sehr hoch, obwohl die Gefahr von Terroranschlägen viel unwahrscheinlicher ist als z.B. Unfalltod beim Fahrradfahren.
Die Welt in unseren Köpfen ist keine exakte Kopie der Wirklichkeit. Ungewöhnliche anschauliche Ereignisse, die emotionalisieren und über die Medien berichten, werden als häufiger wahrgenommen.
Zusätzlich: Es existiert häufig eine negative Korrelation zwischen Nutzwertschätzungen und Einschätzung der Risikohaftigkeit z.B. von Technologien.
Wenn sich eine positivere Einschätzung des Nutzwertes z.B. von Technologien auf der Basis eines Berichtes z.B. zur Atomenergie ergibt, ändert sich automatisch die Risikoeinschätzung, selbst, wenn keine neuen Argumente, die Risiken relativieren, dazu gekommen sind.
Menschen unterdrücken abweichende Informationen. Sie neigen dazu, einmal gefasste Meinungen gegenüber Kritik zu schützen.
Damit verbundene Gefahren:
• Risiken werden zu lange ignoriert (Unternehmen reagieren z.B. zu spät auf
Umweltveränderungen)
• Politik setzt Prioritäten aufgrund von öffentlichem Druck statt auf Basis einer objektiven Analyse (Beispiel: Erst „Klima-Greta“, dann Reaktion)
• Gefahr der Überreaktion

Wie relevant ist der Faktor für Sie? In welchen Situationen sehen Sie Handlungsbedarf? Wie können Sie Fehlurteile aufgrund emotionalisierter Szenarien vermeiden?

  • Seien Sie sich der Risiken bewusst, die mit hoch emotionalisierten Szenarien für eine rationale Bewertung von Situationen verbunden sind.
  • Drücken Sie ggf. als erste Reaktion Ihre Betroffenheit aus. Trennen Sie zwischen der emotionalen Betroffenheit (emotionale Bewertung) und der Notwendigkeit, damit verbundene Entscheidungen bewusst zu treffen.
  • Hinterfragen Sie die Absicht bzw. Zielsetzung, die mit der Präsentation emotionalisierter Szenarien verbunden ist.
  • Analysieren Sie das Thema systematisch durch Neutrale oder in einem frühen Stadium, indem noch keine emotionalisierenden Bilder existieren.

© Prof.Dr.Merk

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Kontakt: merk@t-pu.de