Sachgerecht und fair Verhandeln: 4. Phase 2: Differenzen klären

Phase 2 dient dazu, die bestehenden Differenzen zwischen den Parteien besser zu verstehen. Die Parteien stellen ihren Standpunkt und die Vorgeschichte dar. Jede Partei erhält die Gelegenheit, die eigene Position ausführlich zu erläutern.
Beispiel für die Anmoderation:
„Der Ablauf ist einfach: jede Seite gibt nacheinander ein
Eröffnungsstatement ab und stellt dabei in fünf bis zehn Minuten ihre
Sicht des Falles dar.
Damit soll erreicht werden, dass alle verstehen, wie jede Partei den
Konflikt sieht, um anschließend Themen abzuleiten, die Sie hier
bearbeiten wollen.
Es geht noch nicht darum, Lösungen vorzuschlagen oder um eine
inhaltliche Diskussion, sondern zunächst nur darum, zu verstehen, für
welche Themen eine Lösung gesucht werden soll.“
Lassen Sie die Parteien ihre Sichtweisen des Problems darstellen
Beispiel für die Anmoderation:
„Sie können jetzt Ihre Sichtweisen des Konflikts darstellen. Ich werde einen
nach dem anderen bitten, seine Sichtweise darzulegen.
Bitte schildern Sie aus Ihrer persönlichen Sicht, wie sich der Fall bzw. der
Sachverhalt darstellt.
Sprechen Sie verständlich. Belegen Sie Ihre Aussagen mit Beispielen.
Betrachten Sie die andere Partei wie einen Richterkollegen, der sich ein
klares Bild vom Sachverhalt machen möchte und mit dem Sie gemeinsam
ein sachlich begründetes Urteil fällen sollen.
Die Vorgehensweise ist wie folgt: Einer von Ihnen beginnt, die anderen
hören nur zu und machen sich ggf. Notizen. Er oder sie darf nicht
unterbrochen werden. Sie bekommen später Gelegenheit zur gemeinsamen
Diskussion.
Danach kommt der nächste dran.
Gleich eine Vorbemerkung dazu: Sie werden versucht sein, Aussagen der
anderen Partei zu kommentieren. Bitte tun sie dies nicht. Es geht in dieser
Phase nicht um richtig oder falsch, sondern nur darum zu verstehen,
welche subjektive Einstellung die andere Seite zu unserem Thema hat.
Reden Sie, wenn Sie an der Reihe sind, über sich. Beschreiben Sie den
Sachverhalt. Sprechen Sie ggf. über Ihre Gefühle (z.B.: „Ich bin
enttäuscht“). Vermeiden Sie persönliche Angriffe wie z.B.: „Sie haben
mich betrogen“. Vermeiden Sie Schuldzuweisungen, die die Neigung zu
Gegenangriffen provozieren.
Nachdem jeder von Ihnen seine Sichtweise dargestellt hat, werden wir
gemeinsam die Themen herausfiltern, für die wir später Lösungen
erarbeiten wollen.“
„Ich bitte Sie, nun darzustellen, wie Sie unseren Verhandlungsgegenstand
einschätzen.
- Worin besteht die Problematik?
- Wann ist diese entstanden?
- Warum?
- Was ist seitdem passiert?
Wer möchte beginnen?“
Lassen Sie jetzt die Parteien ihre Sichtweisen des Konflikts darstellen. Entwickeln Sie dadurch ein gemeinsames Verständnis der strittigen und unstrittigen Fragen. Lassen Sie die andere Partei nach der Präsentation solange nachfragen, bis alle Beteiligten ein klares Bild der Ausgangslage haben: „Ich habe noch nicht verstanden…“ „Damit ich es verstehe…“ „Ich möchte noch besser verstehen…“
Achten Sie darauf, dass es sich dabei um echte Verständnisfragen zur Sache handelt, d.h. keine offenen oder verkappten Anschuldigungen.
Fassen Sie wesentliche Aussagen mit eigenen Worten zusammen.
Hören Sie aktiv zu: „Wenn ich sie richtig verstanden habe…?“.
Vergewissern Sie damit sich und Ihr Gegenüber, dass Sie das gleiche Verständnis haben.
Fragen Sie nach beobachtbaren, überprüfbaren Fakten.
Stellen Sie Übereinstimmungen fest und Differenzen.
Lassen Sie keine Unterbrechungen der Präsentation durch andere Teilnehmer zu.
Suchen Sie nach jeder Präsentation Formulierungen für Themen, die das Kernanliegen des Präsentators mit wenigen Worten umschreiben.
„Wie könnte man die Differenzen bzw. ungeklärten Fragen mit wenigen
Worten beschreiben, die nach Ihrem Vortrag hier gelöst werden sollen?“
Visualisieren Sie die „Differenzen/ ungeklärte Fragen“ (in Klammer mit
dem Namen des Teilnehmers) z.B. am Flipchart.
Ergänzender Hinweis:
Vertiefende Fragen zum Sachverhalt sollten sich auf die Situation und damit verbundene Auswirkungen beziehen. Stellen Sie noch keine Fragen zu möglichen Ursachen und Lösungsansätzen. Diese werden in der nächsten Phase vertieft.
Beispiele:
- Wie stellt sich die Situation aus Ihrer Sicht dar? Wie war der
Ablauf? Was passierte genau? Wann sind die Differenzen
aufgetreten? Was sind die Fakten? - Welche typischen Beispiele illustrieren die Problematik?
- Können Sie das näher ausführen? (Situation/ Verhalten/ Auswirkungen/ Ihre Erwartungen). Worin besteht das Problem genau? (Soll-Ist-Abweichung).
Wählen Sie die Themen aus, für die Lösungen erarbeitet werden sollen
Beispiel für die Anmoderation:
„Vielen Dank. Wir haben jetzt alle Sichtweisen kennengelernt.
Wurden alle relevanten Informationen eingebracht, die für die Beurteilung
des Sachverhalts notwendig sind?
Gibt es Gesichtspunkte, die noch nicht besprochen wurden? Dann
sprechen Sie diese bitte jetzt an.“
Welche Differenzen/ Probleme sind in besonderer Weise kritisch und
sollen hier behandelt werden?
Wir priorisieren jetzt Themen, die zwischen den Parteien strittig sind und
für die alle Parteien eine Lösung finden wollen. Wofür brauchen Sie am
Ende eine Lösung?
Um die Themen herauszufiltern, könnte es sinnvoll sein, die verschiedenen
Anliegen, die Sie angesprochen haben, nach einzelnen Themenblöcken zu
ordnen.
Welche Oberthemen lassen sich herausfiltern?
Gehen Sie die Liste der bisher angesprochenen „Differenzen/ offene
Probleme“ durch und formulieren Sie überschneidungsfreie Themen, für
die vor allem Lösungen gesucht werden müssen. Die Themen sollten neutral
und in Frageform formuliert sein.“
Themensammlung...
„Wie lassen sich diese Themen in eine Reihenfolge bringen? Welches
Thema soll zunächst bearbeitet werden? Welches danach etc.?
Für die Festlegung der Reihenfolge sind einige Punkte zu beachten:
Themen lassen sich z.B. priorisieren nach Dringlichkeit oder nach
Eignung für die Lösung des Konflikts.
Müssen Themen ggf. vorrangig geklärt werden, weil diese Voraussetzung
für die Lösung der anderen Themen sind?
Oftmals macht es Sinn, ältere Themen zuerst zu besprechen oder emotionale
Beziehungskonflikte anzugehen, die Voraussetzung dafür sind, dass man
sachlich über andere Themen sprechen kann.“
Lassen Sie Teilnehmer entscheiden, in dem diese Themen mit +/o/- in der rechten Spalte bewerten.
+: Thema sollte vorrangig bearbeitet werden (dringend und wichtig)
0: dringend oder wichtig
-: Thema weder dringend noch wichtig
Ergänzen Sie die Bewertungen stichpunktartig um Kommentare, die die Relevanz der Themen begründen.
Legen Sie abschließend die Reihenfolge fest, in der die Themen bearbeitet werden sollen.
Beispiel für die Anmoderation:
„Vielen Dank. Sie/ wir haben damit entschieden, mit welchem Thema Sie/
wir beginnen wollen. Im nächsten Schritt werden wir die Hintergründe bzw.
Ursachen näher beleuchten, die zu den gewählten Konfliktthemen geführt
haben.“
Zu Teil 5: Phase 3: Interessen klären
© Prof.Dr.Merk
Kontakt: merk@t-pu.de